Von 22. bis 23. Januar 2016 fand an der Universität Osnabrück die sechste Jahrestagung des Arbeitskreises Südasien in der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG) statt. Ausgerichtet wurde die Tagung dieses Jahr von Martin Franz und Nicolas Schlitz von der Arbeitsgruppe Humangeographie mit wirtschaftsgeographischem Schwerpunkt des Instituts für Geographie. Höhepunkt der Veranstaltung war auch dieses Jahr wieder die Verleihung des Forschungspreises „Geographien Südasiens“ für die beste geographische Abschlussarbeit zu Südasien. Sarah Hartmann erhielt die Auszeichnung für ihre an der Universität Zürich verfasste Masterarbeit mit dem Titel „The Work of Medical Travel Facilitators: Caring for and Caring About International Patients in Delhi“. In seiner Laudatio stellte Markus Keck heraus, dass es sich um eine analytisch tiefe und theoretisch ausgesprochen fundierte Arbeit handelt, die einen Beitrag zu aktuellen Debatten innerhalb der geographischen Migrationsforschung leistet. Ausgewählt worden war die Arbeit durch eine Jury aus vier ProfessorInnen. Als Teil der Auszeichnung erhielt Sarah Hartmann ein Jahresabonnement der Geographischen Rundschau und einen Büchergutschein des Franz Steiner Verlags. In einem spannenden Vortrag zeigte Sarah Hartmann auf, wie die Medizinreiseveranstalter in Delhi Behandlungsreisen von Patienten z.B. aus den arabischen Staaten zu Krankenhäusern in Indien organiseren und dabei letztenendes selbst eine fürsorgende Rolle für die Patienten übernehmen.
Nach einer Begrüßung der SprecherInnen des Arbeitskreises wurde die diesjährige Tagung durch eine erste englischsprachige Session zur Entwicklung der Landwirtschaft und Agri-Food Netzwerke in Indien eröffnet. Martin Franz und Philip Müller (Universität Osnabrück) präsentierten Ergebnisse ihrer Studie zu den Auswirkungen von ausländischen Direktinvestitionen auf Agri-Food Netzwerke in Indien und Subsahara Afrika. Darin konnten sie zeigen, dass der Anteil des Agrarsektors an ausländischen Direktinvestitionen in Indien zwar vergleichsweise gering ist, aber dennoch weitereichende Folgen für die Entwicklung von Agri-Food Netzwerken hat. Karan Raut (Tata Institute of Social Sciences, Mumbai) ging in seinem Vortrag indessen auf die Langzeitveränderungen der Nachfrage nach landwirtschaftlicher Arbeitskraft in dem Dorf Maskawad im Norden Maharashtrahs ein und stellte unter anderem die gesteigerte Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften heraus.
Die zweite Session beschäftigte sich mit Umweltproblemen und Fragen der politischen Ökologie. In ihrem Vortrag zur politischen Ökologie der sprichwörtlich ‚sinkenden’ Insel Munroe in den Backwaters von Kerala fokusierte Korinna Klasing (Universität Hannover) auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen fortschreitender Umweltveränderungen und deren gesellschaftlicher Bedingungen durch die Bevölkerung Munroes. Daraufhin erörterte Helmut Meuser (Hochschule Osnabrück) die Umweltprobleme und Gesundheitsrisiken, die sich aus der physiko-chemischen Analyse von drei repräsentativen Mülldeponien im Bundesstaat Haryana insbesondere für die dort arbeitenden MüllsammlerInnen ergeben. Nicolas Schlitz (Universität Osnabrück) näherte sich der Handhabung von Müll in Indien hingegen aus humangeographischer Perspektive an und verwies auf die Verstrickung politischer, ökonomischer und räumlicher Dimensionen von Müllkonflikten am Beispiel Bangalores.
In der dritten und erneut englischsprachigen Session ging zuerst Manisha Jain (Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, Dresden) auf die insbesondere planerischen Herausforderungen einer nachhaltigen und ausgewogene Entwicklung rasch wachsender Regionen am Beispiel der Metropolregion Delhi ein. Anschließend erörterte Miriam Wenner (Universität Zürich) im letzten Vortrag des ersten Tages die territorialen Strategien des indischen Staates im Umgang mit Forderungen nach einem souveränen Gorkhaland entlang von Souveränitätskonzepten. Der ihaltliche Teil des ersten Tagungstages endete mit der Präsentation eines Dokumentarfilms zum Water-Energy-Food Nexus der Stadt Leh in Ladakh, der im Anschluß mit der Autorin des Filmes, Daphne Gondhalekar (Technische Universität München), diskutiert wurde. .
Der Samstag wurde mit einer Doppelsession zu den Hochgebirgsregionen des Himalaya eröffnet. Den Auftakt machten Juliane Dame und Judith Müller (Universität Heidelberg) mit der Präsentation einer Fallstudie zur Aktuellen Entwicklung der Wasserversorgung in Leh, Ladakh, in der Sie insbesondere auf die sozialen und ökologischen Transformationsprozesse dieser von extremen klimatischen Bedingungen gezeichneten Region eingingen. Gefolgt wurde dieser Beitrag von Benjamin Kraus (Universität Heidelberg), der sich im Rahmen seiner Masterarbeit den Herausforderungen der Wasserversorgung in Ladakh durch die multidimensionale Analyse und Bewertung der lokalen Wasserspeichertechnik der ‚künstlichen Gletscher’ annäherte. Die Rückkehr zu einer Kombination aus traditioneller und ökologischer Landwirtschaft als Strategie zur Lebenssicherung von KleinbäuerInnen unter Bedingungen sozio-ökonomischer und ökologischer Transformationsprozesse in Ladakh stand im Fokus der Masterarbeit von Stefanie Raschke(Universität Heidelberg), die dessen Potential in Kombination mit Marketinginstrumenten des Participatory Gurantee Systems hervorhob. Den Abschluss dieses Schwerpunktes auf die Hochgebirgsregionen des Himalaya bildete der Vortrag von Ulrich Selgert (Universität Heidelberg), der im Rahmen seiner Masterarbeit eine fernerkundliche Untersuchung der Flächen- und Höhenveränderung des Zemu-Gletschers im Sikkim Himalaya zwischen 1931 und 2014 mit Hilfe historischer Daten durchführte.
Gefolgt wurde dieser Block von einer Reflexion des methodischen Vorgehens innerhalb der deutschsprachigen geographischen Südasienforschung durch Judith Müller und Julia Poerting (Universität Heidelberg). Im Zentrum dieses Beitrags, für den im Vorfeld der Tagung eigens eine Befragung der Mitglieder des Arbeitskreises durch die Autorinnen durchgeführt wurde, stand neben der Methodenvielfalt innerhalb der geographischen Südasienforschung auch eine Reflexion der Forschungspraxis und Positionalität der Forschenden im Kontext postkolonialer Verhältnisse.
Die letzte Session der diesjährigen Tagung widmete sich dem Thema Migration. Carsten Butsch (Universität zu Köln) stellte in seinem Beitrag erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes zum Thema ‚Transnationale Handeln indischer Migrant_innen in Deutschland‘ vor, die hinsichtlich der Intensität und Bedeutung transnationaler Verbindungen starke Unterschiede, insbesondere zwischen der ersten und zweiten Generation deutlich machen. Der abschließende Vortrag von Raphael Schwegmann (KU Eichstätt / Universität Heidelberg / EHESS Paris) beschäftigte sich mit (post)kolonialer Politikproduktion durch Selbstzeugnisse südasiatischer Migranten in Großbritannien und warf Debatten über das Verhältnis von Diskursen und Praktiken auf.
Auf der Mitgliederversammlung wurde auf ein erfolgreiches Jahr zurückgeblickt: Neben der Jahrestagung wurden auch gemeinsame Publikationen organisiert und ein Band in der Veröffentlichkeitsreihe herausgegeben. Der Arbeitskreis ist weiter gewachsen und hat inzwischen 89 Mitglieder. Bei den jährlichen Wahlen des Sprecherkreises wurden Carsten Butsch (Köln), Alexander Follmann (Köln), Martin Franz (Osnabrück), Markus Keck (Göttingen) und Julia Poerting (Heidelberg) als SprecherInnen bestätigt. Mareike Kroll (Köln) schied nach sechs Jahren aus dem Sprecherkreis aus. Die nächste Jahrestagung findet am 27. und 28. Januar 2017 in Augsburg statt.
Martin Franz (Osnabrück) und Nicolas Schlitz (Osnabrück)
Das Programm der Jahrestagung finden Sie hier.